Martin Habersaat über den Erfolg von Martin Schulz
Zwei Wochen nach der Entscheidung von Sigmar Gabriel, Martin Schulz als Kanzlerkandidaten und SPD-Vorsitzenden vorzuschlagen, hat die SPD in Umfragen mit der Union gleichgezogen. Martin Schulz hat Angela Merkel im Direktvergleich teilweise sogar schon überholt. In dieser Zeit sind über 4.600 neue Mitglieder in die SPD eingetreten, mehr als 200 davon in Schleswig-Holstein. Veranstaltungen mit Martin Schulz in Pinneberg, Rendsburg, Ahrensburg und anderswo sind rappelvoll, „Jetzt kommt Martin!“ – Buttons der Renner. Woher kommt das plötzliche Interesse an der SPD? Martin Habersaat, Landtagsabgeordneter aus Reinbek und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, nennt drei Gründe für den willkommenen Rückenwind aus Berlin zur Landtagswahl am 7. Mai 2017.
Erstens: Die SPD hat Substanz. Der Aufschwung der SPD mag überraschend kommen, grundlos ist er nicht. Die Debatten über die Person Sigmar Gabriel lange Zeit überdeckt, dass die SPD historisch, programmatisch und personell eine Partei mit Substanz ist. Historisch, weil es die SPD seit über 150 Jahren gibt, sie einen hohen Organisationsgrad hat. Sie ist die älteste demokratische Partei in Deutschland, musste sich nach der NS-Herrschaft nicht umbenennen. Ihr ist das Frauenwahlrecht ebenso zu verdanken wie die Eröffnung von Bildungschancen für alle. Programmatisch, weil kaum eine Partei so viel Wert auf Inhalte und Programme legt. Ob in der Kommune, im Land, im Bund: Für alle Ebenen legt die SPD umfangreiche und ausgefeilte Programme vor, ist im Gegensatz zu manchen „Ein-Themen-Parteien“ -für Steuersenkungen die einen, gegen Flüchtlinge die anderen- eine „Alle-Themen-Partei“. Personell, weil die SPD in neun von 16 Bundesländern den Ministerpräsidenten bzw. die Ministerpräsidentin stellt und in weiteren vier Ländern an der Regierung beteiligt ist. Olaf Scholz, Malu Dreyer, Hannelore Kraft – das sind nur drei Beispiele für starke Sozialdemokraten in den Ländern. Auch in Schleswig-Holstein steht mit Torsten Albig ein erfolgreicher Ministerpräsident zur Wiederwahl an. Der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier wird der nächste Bundespräsident. Die Ministerinnen und Minister sind der SPD sind Aktivposten der Regierungskoalition in Berlin.
Zweitens: Martin Schulz steht für eine Welt, wie wir sie uns wünschen. 72 Jahre Frieden in Europa. Das ist noch immer der größte Erfolg und das wichtigste Projekt der Europäischen Union. Martin Schulz verkörpert dieses Friedensprojekt wie kaum ein anderer. Zudem kann er seinen Einsatz für Gerechtigkeit authentisch an der eigenen Biografie belegen, kann Menschen emotional erreichen und Dinge erklären. Auch das rheinländische Talent, große Zusammenhänge anhand anschaulicher Anekdoten verständlich zu machen, trägt zu seinen guten Umfragewerten bei. Er war der Bürgermeister von nebenan. Zu einem „Wir schaffen das“ kommt auch immer der Ansatz, wie und unter welchen Bedingungen es geschafft werden soll. Und wer wünscht sich nicht ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit mit Politikern, die erklären, was sie tun? Gerade bei jüngeren, weltoffenen Menschen kommt Martin Schulz deshalb gut an, in den sozialen Netzwerken wird er regelrecht gefeiert (#schulzzug, #jetztistschulz, #gottkanzler).
Drittens: Die Stärke der CDU war die Schwäche der SPD. Die CDU lag lange in Umfragen vor der SPD, hat diese Zeit aber kaum zur programmatischen oder personellen Erneuerung genutzt. Jetzt werden die Schwächen offenbar. Merkels wichtigster Minister ist 75 Jahre alt, es gibt kaum ein Führungskräftereservoir in den Bundesländern. Der eigene inhaltliche Kern wurde vernachlässigt, stattdessen wurden viele Themen von der politischen Konkurrenz übernommen, von einer „Sozialdemokratisierung der CDU“ sprachen viele. Angela Merkel vermied in vielen Fragen inhaltliche Festlegungen, verfolgte in Wahlkämpfen das Ziel einer niedrigen Wahlbeteiligung, weil diese ihr nützte („Asymmetrische Demobilisierung“). Der Konflikt mit der CSU wurde lange gar nicht und jüngst nur notdürftig überdeckt. Jetzt wird die Wahlbeteiligung steigen und die CDU muss sich gegen Konkurrenz von links und von rechts profilieren.