Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist eine Stärke dieses Landes Zum zweiten Mal hat der Landtag eine umfangreiche Studie zur Aufarbeitung der Verstrickung von Eliten des Landes Schleswig-Holstein in Empfang genommen. Ging es 2016 um die NS-Belastung von Landespolitikern in der Nachkriegszeit, standen in der neuen Arbeit des Forscherteams um den Historiker Uwe Danker Justiz, Polizei und Verwaltung im Mittelpunkt. Ein Ergebnis: Viele Beamte in den genannten Bereichen weisen eine biografische Erfahrungsnähe zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen auf, wie es in der Untersuchung heißt. NS-belastete Beamte und Juristen stellten vielfach die überwiegende Mehrheit des Personals des demokratischen Neuanfangs. Der Umfang der Verstrickung und Belastung habe die Forscher überrascht, so Danker. Dabei bildeten diese Eliten nicht aktiv Netzwerke, vielmehr führten übereinstimmende biografische Erfahrungsmuster zu selbstverständlicher Verständigung. Martin Habersaat war Mitglied des Beirates, mit dem Abgeordnete aller Fraktionen die Arbeit an der Studie begleitet haben. Er bekannte, besonders bei einem Ergebnis der Studie ein Störgefühl zu haben. Dieses lautet: Es sei gelungen, ehemals massiv in NS-Unrecht verstrickte Funktionseliten zu reintegrieren und mit diesem Personal eine funktionierende Demokratie und einen stabilen Rechtsstaat zu errichten. Das habe auch dazu geführt, dass viele Opfer der NS-Diktatur in Schleswig-Holstein nach 1945 ihren ehemaligen Peinigern in hohen und zum Teil höchsten Ämtern der Verwaltung, des Justizwesens und der Landespolizei wieder begegnen mussten. Habersaat: Damit wurden sie ein zweites Mal zu Opfern, während die Eliten davonkamen. Ich bin nicht sicher, ob man das anderen Staaten als Blaupause empfehlen kann. Immerhin heißt es in der Studie auch, dass diese Eliten zumindest in den drei Jahren nach Kriegsende Unsicherheiten und Brüche in ihren Biographien hinnehmen mussten. Ob es ein Bewusstsein für eigene Verfehlungen gab, bleibe jedoch offen. Ein prominentes Beispiel ist der Fall des Arztes Werner Heyde. Als Leiter der medizinischen Abteilung der Tarnorganisation Zentraldienststelle T4 war er für die Ermordung von Heilanstaltsinsassen und Konzentrationslagerhäftlingen verantwortlich. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges praktizierte er unter dem Pseudonym Dr. Fritz Sawade mehrere Jahre als Arzt, führende Repräsentanten des Landes Schleswig-Holstein wussten um seine wahre Identität. Die Studie sei beeindruckend und bedrückend, so Habersaat. Sie zeige aber auch: Es ist Schluss mit Schlussstrichdebatten. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist eine der Stärken unseres Landes wenn auch Jahrzehnte zu spät. Die SPD kündigte an, in der nächsten Legislaturperiode einen neuen Schwerpunkt in der Aufarbeitung anzugehen. Beispielsweise das Gesundheitssystem und die Psychiatrie oder das Bildungswesen.
Der Landtag hatte die Studie in Auftrag gegeben und mit 200.000 Euro finanziert. Eine fast 1200 Seiten starke zweibändige Buchversion erscheint am 26. Mai, Titel: Geteilte Verstrickung: Elitenkontinuitäten in Schleswig-Holstein. Die Wissenschaftler hatten 482 Biografien untersucht. Demnach hatten von 91 Juristen 80 Prozent eine NSDAP-Vergangenheit und 50 Prozent waren bei der SA. Die Studie ist als Landtagsdrucksache 19/2953 auch kostenlos einsehbar.
Foto: Prof. Uwe Danker bei der Vorstellung der Studie