„Nie wieder ist jetzt“, hört man zurzeit auf unseren Straßen. Inzwischen gehen Millionen von Menschen auf die Straße um zu verhindern, dass das geschieht… was nicht geschehen darf, eine Wiederholung der furchtbaren Taten rechtsextremistischer Verblendeter.
Olof Palme wäre mit dabei, er wäre vorne dran. Er verurteilte sein Leben lang Diktatur, Invasion und Unterdrückung und bekämpfte mit aller Kraft die Weltaufrüstung. Etwas, mit dem auch wir uns heute leider wieder beschäftigen müssen.
Manchmal hat man das Gefühl es wird dunkler und dunkler um uns herum.
Aber wenn man genau hinsieht, sind sie da. Die vielen kleinen Lichter, die es heller werden lassen. Durch ihre Taten, ihren Einsatz, ihre Menschlichkeit und ihren Mut.
Sie kümmern sich, sie setzten sich ein, sie überlegen nicht, sie helfen einfach. Ohne sie würde es nicht gehen, nicht hier bei uns und nicht irgendwo auf der Welt.
Es sind diejenigen, die bereit sind ihre Freizeit zu opfern um anderen zu helfen wo sonst keiner hilft.
Es sind diejenigen die organisieren und sammeln, damit jeder etwas bekommt, weil es sonst nichts gibt. Und es sind diejenigen die laut sind wo andere sich leise aus Angst zurückziehen und ihnen damit Gehör verschaffen, wo keiner sonst hinhört.
Alles das zu tun bedarf Uneigennützigkeit, Empathie, Sensibilität, Fürsorge und Menschenliebe.
Manchmal auch Wut, Wut die dafür sorgt auf die Straßen zu gehen und laut auf Missstände hinzuweisen.
Jedes Jahr werden für den Olof-Palme-Friedenspreis Persönlichkeiten nominiert, die genau diese Eigenschaften haben und damit anderen helfen, ihnen zur Seite stehen und sich mit aller Kraft für Belange anderer Menschen einsetzen.
Rede von Jan Philipp Reemtsma:
Sehr geehrte Damen und Herren, „Waffen sind Geräte des Unglücks (…) wo Heere wachsen, wachsen Dornen und Disteln“, 1 heißt es im Daodejing, der chinesischen Textsammlung, die dem mythischen Laozi zugeschrieben wird, also vor vielleicht zweieinhalbtausend Jahren entstanden ist. „Waffen sind Geräte des Unglücks, / Wer auf sich hält, soll sie nicht brauchen. / Ist’s aber not, braucht er sie (…) Siegt man, siege man ungern (…) Und wenn man gesiegt hat, / Begehe man den Sieg wie eine Leichenfeier.“2 Das ist ein Satz von großer Nachdrücklichkeit. Man möchte ihn manchmal laut und öffentlich sagen. Gleichwohl: Aus dem, was „Daoismus“ genannt wurde, ist vielerlei entstanden. Mystiker waren darunter und Mönche, es gibt eine daoistische Heilkunde (oder mehrere davon), eine daoistische Liebeskunst, daoistische Pazifisten und militante Sozialrevolutionäre, gewaltfreie und -freudige Anarchisten. Man kann aus so vielem vielerlei machen und vieles, das gar nicht zusammenpasst. Das ist einer der Gründe, weshalb es so wenig nützt, die schönen Maximen der Vergangenheit zu zitieren, um unsere gegenwärtigen Meinungen mit Hintergrundsound zu versehen. Es ist zudem meist Denkfaulheit. Man drapiert sich dekorativ und kaschiert, dass man selbst nichts zu sagen hat außer den gegenwärtig gängigen Phrasen. Sie erinnern sich an die Debatte – „Debatte“, wie man so sagt, „in Anführungszeichen“ – darüber, ob man alles dafür tun solle, dass die Ukraine den Krieg „gewinnt“ oder „nicht verliert“ oder dass Russland sive Putin ihn „nicht gewinnt“? Dann erinnern Sie sich auch daran, dass niemand genau sagte – oder zu sagen vermochte – , was das jeweils heißen sollte. Man deutete etwas an, und je weniger deutlich man andeutete, desto intensiver sprach man die betreffenden Worte aus: „nicht verliert!“ Ich sage nicht, wie manche das tun, man werde hier öffentlich hinters Licht geführt oder Ähnliches, nein, das ist nicht der Fall. Aber man wird mit Redeweisen konfrontiert, die signalisieren, dass da Leute etwas sagen wollen und nicht die Verantwortung für die 1 Laozi. Daodejing. Der Weg der Weisheit und der Tugend, München 2017, S. 41f. 2 Ebd., S. 42. 2 Implikationen dessen, was sie da so andeuten, übernehmen wollen. Derlei gibt es immer, aber wenn die Sache, um die es geht, von Bedeutung ist, ist auch die Haltung der Verantwortungsscheu von Bedeutung. Nehmen wir diesen krassen Fall, die Phrasen sind ja noch im Gespräch: „Jeder Krieg hat bisher mit Verhandlungen geendet …“ Punkt-Punkt-Punkt … die Folgerung wird scheinbar dem Hörer überlassen, sie hallt aber mit: „… darum keine Waffen an die Ukraine mehr, sie muss an den Verhandlungstisch genötigt werden, und dort wird über kurz oder lang dieser Krieg sowieso sein Ende finden.“ Und sollte das nicht so schnell wie möglich geschehen? Ganz gewiss. Ganz gewiss ist jeder Tag, an dem auf dem Territorium der Ukraine nicht mehr gekämpft und Blut vergossen wird, ein humanitärer Gewinn. Niemand kann das leugnen, dennoch stimmt der zitierte Satz nicht. Keineswegs werden alle Kriege am Verhandlungstisch beendet. Der Erste Weltkrieg wurde nicht am Verhandlungstisch beendet; der Versailler Vertrag wurde nach der Kapitulation geschlossen. Der Zweite Weltkrieg wurde nicht am Verhandlungstisch beendet, ein Friedensvertrag wurde nie geschlossen. Historiker könnten Ihnen sagen, ein wie großer Teil aller Kriege auf der Welt durch Friedensverhandlungen beendet worden sind – vielleicht die Hälfte? Vor allem suggeriert der Satz von „allen Kriegen, die sowieso am Verhandlungstisch enden“, dass es für diese potentiellen Verhandlungen ganz gleichgültig sei, wie die Sache im Krieg gerade steht. Wenn eine dritte Macht die Möglichkeit hat, eine Kriegspartei in Verhandlungen zu nötigen, indem sie ihr die Mittel, den Krieg weiterzuführen, verweigert, nötigt sie sie, die Verhandlungen um das zu führen, was im Krieg bereits vorentschieden ist. Die Macht, die auf diese Weise zum Krieg nötigt, wird Kriegspartei – die sie als Unterstützerin bisher schon gewesen ist, selbstverständlich –, aber sie hört nicht auf, es zu sein, wenn sie ihre Macht dazu nutzt, die eine Partei zu zwingen, den Kampf aufzugeben. Es geht mir nicht darum, Ihnen in solchem Konflikt die eine oder andere Position nahezulegen. Ich möchte hier nicht als Stammtischstratege auftreten oder als Hobbypolitiker. Ich möchte nur als Teil einer angesprochenen Öffentlichkeit auf die rhetorischen Mittel hinweisen, mit denen verhindert wird, dass eine klare Diskussion geführt wird. Ich will nicht sagen, jemand, der die Phrase von „allen Kriegen, die über kurz oder lang am Verhandlungstisch enden“, Sie für dumm verkaufen will – nein, Sie sollten ihm (oder ihr) die Wahl lassen, ob sie oder er Sie für dumm verkaufen will oder selbst so dumm ist, wie er oder sie Ihnen den Anschein gibt. Es geht im öffentlichen Gerede häufig – allzu häufig – nicht darum, was einer sagt, wie es zu beurteilen ist, ob es akzeptabel ist, tolerabel oder eben nicht mehr, sondern wie man es nennt. Sie kennen das. Irgendwann kam die Rede von den „roten Linien“ auf, ich glaube vor Jahren im Krieg in Syrien. Seitdem spricht man oft nicht mehr über irgendeine Sache, die man klar benennen und beschreiben – was zuweilen heißt: umständlich beschreiben – müsste, sondern 3 redet nur darüber, ob wirklich (oder nicht oder vielleicht) eine „rote Linie“ überschritten sei. Ein Politiker redet von einer „Brandmauer“ nach rechts (eine unglückliche Metapher, aber sei’s drum), und nun redet man nicht mehr über das Problem – es ging damals um die Frage, ob man, und wenn ja, auf welcher politischen Ebene mit der AfD zusammenarbeiten dürfe, könne oder doch müsse. Man redete nicht mehr um konkrete Szenarien, sondern nur noch darüber, ob die „Brandmauer“ (also ob es sich um mehr gehandelt hätte als eine schiefe Metapher) hielte oder nicht, und wenn es dann doch mal um konkrete Szenarien ging – die Partei X bringt einen Antrag in das jeweilige Parlament, die AfD stimmt zu, was dann? – , landete man schnell beim Gerede darüber, ob hier nun eine „Brandmauer“ eingerissen worden sei oder nicht. Man belegt sein Recht, an öffentlichen Diskussionen teilzunehmen, dadurch, dass man die Phrasen, die gerade gängig sind, in den Mund nimmt. Es kommt nicht auf den Satz an, den man sagt, sondern darauf, dass er die Möglichkeit bietet, bestimmte gängige Wörter zu sagen. Wer sagt nicht „auf Augenhöhe“? Auf „Augenhöhe“ hängt man Bilder auf. Wer sagt nicht „ausbremsen“, wenn er „bremsen“ sagen möchte (obwohl „ausbremsen“ etwas ganz anderes meint), wer sagt nicht, wenn er „Zentrum“ meint, „Epizentrum“? Wer wäre nicht gegen die „Spaltung der Gesellschaft“ – und wer wäre in der Lage zu sagen, was er oder sie damit eigentlich genau meint? Aber wer so daherredet, wird irgendwie „verstanden“, genauer: er fühlt sich verstanden, alle nicken mit dem Kopf, man ist dabei, hat nichts Falsches gesagt, alle sind und bleiben nett und freundlich. Ich habe mal gehört, dass jemand sagte, in den „wichtigen gesellschaftlichen Fragen“ müsse Konsens herrschen. Gewiss nicht. Um die wichtigen Fragen muss debattiert werden, das heißt, daß die unterschiedlichen Positionen so klar wie irgend möglich formuliert werden müssen, damit klar wird, worum der Dissens geht. Das, worüber alle einig sind, kann stillschweigend erledigt werden (wenn es bezahlbar ist), interessant, nein: wichtig ist der Dissens. Der Dissens ist das Vehikel, um Probleme in ihrer Komplexität wahrzunehmen, deutlich zu machen, wer in welcher Weise in sie verwickelt, von ihnen betroffen ist. Die Angst vor dem Dissens ist die Liebe zur politischen Einheitsmeinung, die dann am Ende dem doch immer vorhandenen Dissens ein Ende bereitet, indem sie die Dissentierenden zum Schweigen bringt. Dazu gehört die unreflektierte Verwendung des Wortes „Frieden“. Frieden ist nichts an sich Gutes, nicht jeder Frieden ist gut, nicht Frieden unter allen Umständen. Wir feiern hier die Verleihung des Olof-Palme-Friedenspreises. Der wird vergeben, heißt es in der Preiswidmung, an solche, die sich für „friedliches Miteinander“ und ein „menschenwürdiges Dasein“ einsetzen. Das ist nicht immer dasselbe. Palme kritisierte zu seiner Zeit als Regierungschef von Schweden nicht „den Vietnamkrieg“, sondern die USA und nahm damit Partei in diesem Krieg. Seine Regierung unterstützte die Befreiungsbewegungen in Simbabwe, Angola, Mosambik, Namibia, und wenn 4 wir solche Unterstützung – ebenso wie die Kritik am US-amerikanischen Krieg in Vietnam – gutheißen, war es doch Parteinahme, und Parteinahme nicht nur durch Meinungsäußerung, sondern durch Geld zur Weiterführung von Kriegen. In Simbabwe kam auch durch diese schwedische Unterstützung einer der bizarrsten Diktatoren Afrikas an die Macht. Sich in einem Krieg für die augenscheinlich „bessere Seite“ einzusetzen, heißt nicht, dass es am Ende eine „gute“ gewesen ist. Einem fällt hier vielleicht der Satz ein, den Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ zitiert: Der Krieg sei „darin schlimm, daß er mehr böse Leute macht, als er deren wegnimmt“.3 Lassen Sie mich – es ist vielleicht altersgemäß – aus meinem Leben erzählen. Ich bin der Sohn eines Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg, ja mein Vater wurde noch im 19. Jahrhundert geboren. Er war schwer kriegsversehrt. Als Infanterist wurde ihm der eine Arm zerschossen; anschließend war er bei der Luftwaffe – als das Flugzeug, in dem er saß, abgeschossen wurde, wurde sein eines Bein so zerstört, dass er von nun an am Stock gehen musste und bis zu seinem Tode an einer nie ausgeheilten Infektion litt. Meine drei Halbbrüder sind während des Zweiten Weltkrieges gestorben. Der älteste fiel (wie man so sagt) in den ersten Wochen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, der jüngste starb an Kinderlähmung, der mittlere fiel in den letzten Kriegsmonaten. Er hätte als letzter von Dreien nicht Soldat werden müssen, präziser: sich nicht zur „kämpfenden Truppe“ einziehen lassen müssen, aber er wollte das, und sein – mein – Vater, der es ihm hätte verbieten können, tat das nicht. Mein Vater starb, da war ich sieben Jahre alt, ich konnte ihn über all das nicht mehr befragen. Aber es blieb mir das, was man mir erzählte, und also: Wenn mein Vater diesem Letzten verboten hätte, in diesen, wie alle wussten, längst verlorenen und – wie ich später einsehen lernte – von Anfang an verbrecherischen Krieg zu ziehen, hätte ich noch einen Bruder gehabt (einen etwa dreißig Jahre älteren, aber immerhin). Die gedankliche Konsequenz daraus war für mich ein pazifistischer Blick auf die Politik. Was auf jeden Fall zu vermeiden war, war Krieg, und zwar um jeden Preis. Die individuelle Konsequenz war die Verweigerung des Kriegsdienstes. Die Frage, wie denn einem kriegerischen Überfall zu begegnen sei, stellte ich mir natürlich irgendwann, und ich versuchte, die Antwort für einleuchtend zu halten, die sich aus den Erfahrungen des Teils des indischen Unabhängigkeitskampfes, der sich an die Maximen Gandhis hielt, und der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung ergab, die den Maximen Martin Luther Kings folgte. Es gab in der Friedensforschung einen Zweig, der sich mit der Theorie und Praxis des gewaltfreien Widerstands befasste und allerlei Lesenswertes produzierte. Aber irgendwann kam es mir – wie soll man es formulieren? – sonderbar vor (wir sprechen von der Zeit des Vietnamkrieges), 3 Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, in: Ders., Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik (1), hg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 2020, S. 222. 5 Menschen, die einem Napalm-Bombardement ausgesetzt sind, etwas von gewaltfreiem Widerstand erzählen zu wollen. Der junge Wolf Biermann sang in den frühen 6oer Jahren „Soldat, Soldat in grauer Norm, Soldat, Soldat in Uniform“ bis zu der Zeile „Soldaten sehn sich alle gleich, lebendig und als Leich’“, und später sang er: „Genossen, wer von uns wäre nicht gegen den Krieg, aber …“ – und er besang den „Glanz“ der „Morgensterne“, den die Thomas Müntzer folgenden kriegerischen Bauern trugen, er besang die Schönheit von Gesicht und Maschinenpistole des Commandante Che Guevara („Jesus Christus mit der Knarre, so führt dein Bild uns zur Attacke“) und den „Kuss“, den die nordvietnamesischen Flugabwehrraketen den US-amerikanischen Bombenflugzeugen gaben. Das leuchtete mir dann irgendwann ein. Die eigenartige Gewissensprüfung des Ausschusses zur Prüfung der aufrichtigen Gesinnung der Kriegsdienstverweigerer absolvierte ich dennoch. Die Idee der Ästhetisierung wirklich oder angeblich befreiender Gewalt habe ich bald verlassen, zu pazifistischen Überzeugungen bin ich nicht zurückgekehrt. Als das von mir gegründete und geleitete „Hamburger Institut für Sozialforschung“ die beiden Ausstellungen über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht (beinahe zehn Jahre lang) zeigte, gab es neben den Anfeindungen von rechts oder konservativer Seite, hier würde das Ansehen und Andenken deutscher Soldaten pauschal verunglimpft, auch den Einwand von links-pazifistischer Seite, einen besonderen Krieg als „Vernichtungskrieg“ zu kennzeichnen, legitimiere doch indirekt alle anderen Kriege. Man muss die historische Wirklichkeit der Kriege zur Kenntnis nehmen, bevor man Moralfragen kompetent diskutieren kann. Man muss den Unterschied zwischen Magdeburg 1631 – Belagerung, Kapitulation, planmäßige Plünderung und Verwüstung – und der Scheu eines französischen Offiziers, der im Hause von Goethes Vater in Frankfurt einquartiert war, seine Karten aufzuhängen, weil er die Tapeten zu ruinieren fürchtete, schon ernstnehmen. Das ändert nichts an den Schrecken und Grausamkeiten der Schlachtfelder. Es gab nach dem Dreißigjährigen Krieg den Versuch, Krieg zu zivilisieren, ihn auf das Schlachtfeld zu begrenzen, den Unterschied zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung einzuführen und (kriegs-)rechtlich abzusichern – , und es gab die ausdrückliche Außerkraftsetzung dieser Unterscheidung durch Hitler, der den Krieg gegen die Sowjetunion nicht als Krieg gegen eine Armee, sondern von Anfang an als Krieg gegen eine Bevölkerung führte, deren einer Teil, die Juden, umgebracht, deren anderer Teil entrechtet und zu Teilen versklavt werden sollte. Nur ein Narr könnte diesen Unterschied für ignorierenswert halten und meinen, wer ihn wahrnähme, legitimiere Krieg unterhalb einer gewissen Gewaltschwelle automatisch. Man sehe aber auch die Wirklichkeit der Kriege an, die man sich, weil irgendwelche unterstellten Ziele einem sympathisch sind, schönreden möchte. Die Müntzerschen Bauern 6 folgten einem gewaltaffinen, offensichtlich verrückten Prediger, der ihnen Unverwundbarkeit versprach (das kommt in der Geschichte immer mal wieder vor); Che Guevaras Versuch, in Bolivien eine Revolution anzuzetteln, war ausweislich seines Tagebuchs ein sinnloses Herumstolpern im bolivianischen Urwald, bei dem seine Truppe nichts weiter ausrichtete, als Bauern, deren Dörfer ihr in den Weg kamen, im Namen der Revolution zu schikanieren. – Und was gewinnen wir, wenn wir die Notwehr, die das Abschießen von Bombenflugzeugen darstellt, ästhetisieren, gar erotisieren? Nichts; aber wir verlieren viel, unsere Würde, die nicht zuletzt darin besteht, Leid – in diesem Fall das des verbrennenden Piloten – auch dort nicht zu ignorieren, wo wir den Akt, der zu diesem Leid führt, legitimieren. Vielleicht sagt Ihnen der Name Ludwig Baumann nichts – wir verdanken Baumann, dass die Verurteilten der NS-Militärjustiz rehabilitiert wurden. Baumann war Deserteur der Wehrmacht, wurde zum Tode verurteilt, zu langjähriger Haft begnadigt. Ich habe ihn bei seinen – 2002 erfolgreich gewordenen – Versuchen, die Opfer der Militärjustiz zu rehabilitieren, unterstützt. Als auf dem Gelände der Gedenkstätte am Orte des KZ „Buchenwald“ ein Gedenkstein gesetzt wurde, hielt Baumann eine Rede, und ich wurde gebeten, ebenfalls zu sprechen. Baumann sagte, das Fazit aus seiner eigenen Geschichte sei für ihn nur dieses eine: „Nie wieder Krieg“ in einer radikalpazifistischen Deutung dieser Parole. Meine Antwort war, ich könne hier, am Orte des Lagers „Buchenwald“, so nicht sprechen. Dieser Ort sei von Männern in Uniform – Männern, die mit dem Einsatz ihres Lebens gekämpft, also auch getötet hätten – befreit worden. Ohne diese Männer wäre das Morden an diesem Ort weitergegangen. Baumann hatte das Recht, so zu sprechen – er empfand es vor dem Hintergrund seiner Biographie als Pflicht –; ich hatte nicht das Recht, ihm zuzustimmen, ich empfand es als meine Pflicht, ihm, dessen Persönlichkeit ich ehre, dessen Arbeit für die Rehabilitierung der Opfer der Wehrmachtjustiz (vor allem der Deserteure) ich unterstützt habe, auf dem Gelände des Konzentrationslagers Buchenwald zu widersprechen. Wie diese beiden Haltungen nebeneinander stehen können – im ideellen Sinn, im physischen standen sie ja dort nebeneinander – , ist eine wichtige (wenn Sie so wollen, philosophische) Frage. Aber der Anlass war, es war eine Gedenkveranstaltung, harmlos. Im Oktober des vorigen Jahres hat es bei einer Mordaktion der Terrororganisation Hamas in Israel über 1000 Tote gegeben, 240 Menschen wurde als Geiseln genommen, wenige sind inzwischen befreit worden, wie viele noch leben, weiß man nicht. Die israelische Regierung führt seitdem einen Kampf im Gazastreifen mit dem Ziel, die Hamas zu zerstören und die noch lebenden Geiseln zu befreien. Als der Kampf begann, gab es sofort Mahnungen, die israelische Armee möge auf den „Schutz der Zivilbevölkerung“ achten. Und natürlich auch die Beteuerung, Israel habe „ein Recht, sich zu verteidigen“. Diese Phrasen werden seitdem ausgetauscht und ad 7 nauseam wiederholt. Beginnen wir mit Letzterem. Was bedeutet es eigentlich, zu sagen, Israel habe „ein Recht zu existieren“, ein „Recht sich zu verteidigen“? Würde man das zu oder von irgendeinem anderen Staat sagen? Absurd. Andererseits wäre es auch absurd gewesen, gleichermaßen an die Hamas zu appellieren, sich an Kriegs- und Völkerrecht zu halten. Der Massenmord vom 7. Oktober war ja nicht nur eine Tat, sondern auch die Botschaft: dass es der Hamas, wie ihre Charta ausweist, wie es die Muslimbruderschaft, zu der sie gehört, von Gründung an klar verkündet hat, um ein genozidales Programm geht. Konsequent wäre gewesen, die Appelle an Israel mit der – überfälligen – internationalen Ächtung von Hamas und Muslimbruderschaft zu verbinden und die Führungsmannschaft der Hamas zur Fahndung auszuschreiben. Ein Schritt zum Frieden in Gaza wäre die Bereitschaft arabischer Staaten gewesen, Truppen zur Bekämpfung der Hamas bereitzustellen und eine Propagandaaktion zu unternehmen, mit dem Ziel, den Zusammenhalt von Bevölkerung und Terrororganisation zu untergraben. „Bevölkerung“, nicht: „Zivilbevölkerung“. Das Reden vom „Schutz der Zivilbevölkerung“ kaschiert, um was für eine Art Krieg es sich handelt. Die Hamas ist eine Guerilla, die ihren Kampf – wie viele, nicht alle, Guerillas vor ihnen – dadurch zum Erfolg führen will, dass sie von der übrigen Bevölkerung nicht zu unterscheiden ist und somit den von ihr angegriffenen Feind nötigt, entweder nicht zu kämpfen oder ins Ungefähre zu schießen oder zu bomben. Das Kalkül ist, so oder so zu gewinnen: Entweder lässt man ihre Angriffe unbeantwortet – und provoziert neue Angriffe – , oder man setzt sich als rücksichtsloser Aggressor ins scheinbare Unrecht. Es gibt keine Möglichkeit, diesem Dilemma zu entkommen. Der Rückzug Israels aus dem Gazastreifen vor Jahren – die israelische Regierung räumte am Ende die Wohnhäuser israelischer Staatsbürger gewaltsam – , verbunden mit dem Verbot der künftigen Einreise israelischer Bürger, wurde aus dem Gazastreifen mit Raketenbeschuss auf Israel beantwortet. Es geht also der Hamas nicht um die Räumung der „besetzten Gebiete“, sondern um die Zerstörung Israels und um das Töten von Juden. Der 7. Oktober war eine Bekräftigung dieser Programmatik durch die massenmörderische Tat. All dieses muss bedacht werden, wenn man urteilen oder empfehlen will. Und wer urteilt, wer empfiehlt und mahnt, der redet unwahrhaftig (und wenn er sich damit selbst belügt, so belügt er dabei doch auch andere), wenn er nicht auch die Komplexität der Wirklichkeit und die daraus resultierende Komplexität moralischen Urteilens deutlich macht. Was lässt sich sagen? Der Tod von Tausenden, der geschieht, weil sie in der Nähe von Mördern leben – leben müssen – , ist durch nichts zu rechtfertigen. Den Kampf gegen eine Bande, die den Genozid zum Programm erhoben hat, zu unterlassen, wäre durch nichts zu rechtfertigen. So viel für heute – ich danke Ihnen.
Presseecho:
- Hamburger Abendblatt – Omas gegen rechts bekommen Friedenspreis – SPD Stormarn ehrt Senioren für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus. Jan Philipp Reemtsma hält bewegende Rede https://www.abendblatt.de/region/stormarn/article241787832/Omas-gegen-rechts-bekommen-bekannten-Friedenspreis.html#:~:text=%E2%80%9EOmas%20gegen%20rechts%E2%80%9C%20erhalten%20Olof,Motto%20%E2%80%9EGemeinsam%20gegen%20rechts%E2%80%9C.
- Glinder Zeitung – „Omas gegen Rechts” gewinnen Friedenspreis – Jan Phillip Reemtsma als Gastredner beim OLOF-PALME-PREIS https://www.e-pages.dk/hamburgerwochenblatt/4544/scripts/?module=crop2&vl_platform=desktop&vl_app_id=dk.e-pages.hamburgerwochenblatt&vl_app_version=1.22.09&page=12&x1=170.37&y1=63.65&x2=1024.00&y2=781.22&token=4db31358860ecfb601a21a400f626e5b1344f425
- OMAS GEGEN RECHTS erhalten Olof-Palme-Preis – https://omasgegenrechts-nord.de/2024/03/02/hamburg-bergedorf-und-drumrum-omas-gegen-rechts-erhalten-olof-palme-preis/
Leserbrief aus dem Hamburger Abendblatt:
Besondere Gastfreundschaft Am 1. März hielt Jan Philipp Reemtsma eine bewegende Rede für den Frieden. Die SPD Stormarn ehrte im Schloss Reinbek die “Omas gegen rechts” für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus mit dem Olof-Palme-Friedenspreis.
Nicht nur der Weg von Wedel im Kreis Pinneberg nach Reinbek im Kreis Stormarn ist weit, sondern auch die Zeitspanne zwischen diesem Zeitungsbericht und seiner Entdeckung durch einen Abonnenten des Abendblatts, der neben seiner Regionalausgabe für Pinneberg bereits genug Lesestoff in der Hauptausgabe findet. In beiden Fällen, sei es die Teilnahme an der Verleihung des Olof-Palme-Friedenspreises oder die Wahrnehmung des Berichts, hat sich alles gelohnt.
Über viele Jahre hinweg war ich auf Einladung der Jury-Vorsitzenden Birgit Kassovic regelmäßig zu Besuch, und ein Besuch war auch aufgrund des Vortrags von Jan Philipp Reemtsma endlich einmal fällig. Als Politiker und ehrenamtlicher Kulturschaffender hat man bereits vieles an Empfängen und Preisverleihungen erlebt, einige selbst ins Leben gerufen und auch als Mitglied von Jurys fungiert. Der Olof-Palme-Friedenspreis zeichnet sich dadurch aus, dass er sich an die ehrenamtliche Basis vor Ort richtet.
Was den Rahmen betrifft, so herrschte sowohl beim Vorempfang als auch nach dem offiziellen Teil eine besondere Atmosphäre der Gastfreundschaft, die zeigt, wie wichtig persönliche Begegnungen nach den pandemiebedingten Einschränkungen der letzten Jahre sind. Ein herzlicher Dank geht an die Organisatoren!
Peter D. Schmidt, ehemaliger Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft und Mitglied der Kulturdeputation
Quelle des Leserbriefes: Hamburger Abendblatt vom 06.03.2024