Martin Habersaat über Maßnahmen der SPD für bezahlbaren Wohnraum:
Im Rahmen ihres Landesverbandstages haben die schleswig-holsteinischen Mietervereine mit ihrem Landesvorsitzenden Jochen Kiersch eine durchweg negative Bilanz der Wohnungspolitik in den vergangenen fünf Jahren gezogen. Die Koalition aus CDU, Grünen und FDP habe wohnungspolitisch auf ganzer Linie versagt und Mieterrechte nachhaltig geschwächt. Das deckt sich mit dem Urteil des Reinbeker Landtagsabgeordneten Martin Habersaat, der den Sonderweg Schleswig-Holsteins bei der Rücknahme der Mietpreisbremse und Abschaffung der Kappungsgrenzenverordnung mehrfach kritisiert hatte, weil sie beispielsweise in Glinde direkt zu Mieterhöhungen führten. Es gebe zu wenige bezahlbare Wohnungen in Schleswig-Holstein und vor allem im Hamburger Umland.
Habersaat: „Weil die Mieten in vielen Regionen Schleswig-Holsteins steigen, ebenso übrigens wie die Kaufpreise von Immobilien, setzt die SPD in ihrem Wahlprogramm vor allem auf drei Maßnahmen: Erstens: Wir führen die Mietpreisbremse wieder ein und begrenzen so den krassen Anstieg von Mieten. Zweitens: Wir sorgen dafür, dass in den nächsten zehn Jahren 100.000 neue Wohnungen gebaut werden. Davon sollen 30.000 Sozialwohnungen mit besonders günstigen Mieten sein. Drittens: Wir senken die Grunderwerbessteuer für Familien beim Erstkauf einer selbstgenutzten Wohnung oder eines Hauses.“
Folgende Kritikpunkte nennt der Mieterbund im Einzelnen
Zu wenig Wohnungen in Schleswig-Holstein:
Das Statistikamt Nord meldet für das Jahr 2019 1,47 Millionen Privathaushalte in Schleswig-Holstein, denen ein Angebot von 1,50 Millionen Wohnungen gegenübersteht. Rein rechnerisch stünde damit eine freie Reserve von ca. 33.000 Wohnungen zur Verfügung. Diese Zahl rutscht aber sofort ins Minus, wenn man davon die Zweit- und Ferienwohnungen abzieht, die dem Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Der Landesmieterbund schätzt deren Zahl auf ca. 80.000. Damit besteht auf dem schleswig-holsteinischen Wohnungsmarkt ein rechnerisches Defizit von ca. 47.000 Wohnungen. Zusammen mit einer schwer bezifferbaren Anzahl von unbewohnbaren Schrottimmobilien und Leerständen steht nach Auffassung der Mieterorganisation fest, dass landesweit ein Defizit von mindestens 100.000 Wohnungen besteht – mit wachsender Tendenz.
Zu wenig Neubau:
Seit 2016 sind nach Zahlen des Statistikamtes Nord jährlich rund 14.000 Wohnungen bezugsfertig geworden. In der Bilanz des Wohnungsangebotes müssen aber auch die Wohnungsabgänge berücksichtigt werden. Die Wohnungswirtschaft rechnet mit einer Nutzungsdauer für Immobilien von 100 Jahren. Daraus errechnet sich ein altersbedingter Wohnungsverlust von ca. 15.000 Wohnungen jährlich. Auch die Neubaubilanz seit 2016 ist also mit einem Verlust von mehr als 5.000 Wohnungen negativ. Demgegenüber meldet das Statistikamt Nord aber steigende Haushaltszahlen.
Zu wenig öffentlich geförderter Wohnungsbau:
Der öffentlich geförderte Wohnungsbau spielt für einkommensschwache Haushalte eine besondere Rolle. Die Mieten sind in der Regel deutlich preiswerter als vergleichbare freifinanzierte Wohnungen. In der Spitze hatte Schleswig-Holstein ca. 220.000 solcher Wohnungen, die den Wohnungsmarkt in der Vergangenheit spürbar entlastet haben. Die niedrigen Mieten werden durch zinsvergünstigte Darlehen des Landes erreicht. Wenn die Darlehen zurückgezahlt sind erlischt die Preisbindung und die Wohnungen gelten nach einer Übergangszeit als frei finanziert – sie werden teurer. In der Konsequenz bedeutet dies, dass öffentlich geförderte Wohnungen ständig nachgebaut werden müssen, um den Bestand zu erhalten. Das ist seit Jahren nicht der Fall. Das ehemals ansehnliche Volumen öffentlich geförderter Wohnungen ist zwischenzeitlich auf einen Restbestand von ca. 44.000 Wohneinheiten (Stand 2022) zurückgegangen, weil die Neuförderung seit Jahren viel zu niedrig ist. Nach einer Prognose der Investitionsbank wird der Bestand 2030 nur noch ca. 21.000 Wohnungen betragen zuzüglich zwischenzeitlicher Neuförderung, die in den letzten Jahren bei ca. 1.000 Wohneinheiten jährlich lag. Aus diesen Zahlen leitet die Mieterorganisation folgende Forderungen ab: Der Mietwohnungsneubau muss schnellstmöglich auf ca. 15.000 Wohnungen jährlich hochgefahren werden. Davon sollten wenigstens 30 % öffentlich geförderte Wohnungen sein mit dem Fernziel, den geförderten Bestand sukzessive auf 120.000 Wohnungen aufzustocken. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass das möglich ist, wenn man es denn will. So wurden 1980 19.209 und 1995 sogar 24.389 Wohnungen fertig gestellt.
Mietenentwicklung:
Bis zum 30.11.2019 galt in Schleswig-Holstein die so genannte “Kappungsgrenzenverordnung”. Sie sah vor, dass der Mietenanstieg in angespannten Wohnungsmärkten “nur” 15 % statt ansonsten 20 % innerhalb von drei Jahren betragen durfte. Nach Auffassung der Mieterorganisation hätte die Verordnung wegen der angespannten Situation auf den Wohnungsmärkten des Landes um weitere fünf Jahre verlängert werden müssen. CDU, Grüne und FDP hielten das jedoch für überflüssig. Für Mieter in den betroffenen Kommunen – darunter Kiel – bedeutete das, dass Mieterhöhungs-forderungen binnen drei Jahren wieder bis zu 20 % betragen dürfen. Die Mietervereine im Land haben das sofort zu spüren bekommen. Der Mietenauftrieb bekam zusätzlichen Schub.
Am 30.11.2019 ist auch die so genannte Mietpreisbremse ausgelaufen. Sie sah vor, dass der Mieterhöhungsspielraum bei Neuvermietung auf maximal 10 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete begrenzt war – von einigen Ausnahmen abgesehen. Diese Verordnung ist aber im Gegensatz zur Kappungsgrenze nicht planmäßig ausgelaufen, sondern wurde von CDU, Grünen und FDP bewusst vorzeitig aufgehoben. Der damals zuständige Innenminister Grote begründete diesen Schritt mit der Behauptung, das entscheidende Ziel, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, werde durch die Mietpreisbremse sogar behindert, da sie den Wohnungsbau für Investoren unattraktiver mache. Was der Minister offenbar nicht wusste: § 556 f BGB nimmt eine Wohnung, die nach dem 1. Oktober 2014 erstmals genutzt und vermietet wird, von der Mietpreisbremse aus. Die Mieterorganisationen hatte seinerzeit die Hoffnung, dass die Grünen die Aufhebung dieser Verordnungen verhindern werden, weil sie zeitgleich auf Bundesebene für eine Verschärfung der Mietpreisbremse geworben haben. Der Koalitionsvertrag hätte ein Veto der Grünen auch zugelassen, weil vereinbart war, dass Mietpreisbremse und Kappungsgrenzenverordnung durch “geeignetere alternative Instrumente” ersetzt werden sollten. Welche das sein sollten ist bis heute offen.
Der Kahlschlag bei der Miethöhenbegrenzung ist eine schwere Hypothek für Schleswig-Holsteins Mieterinnen und Mieter. Er begünstigt einseitig die Vermieterseite, ganz besonders jedoch die Finanzinvestoren, die einen großen Anteil am Mietwohnungsbestand halten und bei der Ausschöpfung ihrer Mieterhöhungsspielräume keine Rücksichtnahme kennen. Ganz vorne dabei auch das Unternehmen Vonovia. Die Auswirkungen, die mit der Aufhebung von Miethöhenbeschränkungen einhergehen, kann man im hamburgischen Umland drastisch ablesen: Während auf der hamburgischen Seite des Wohnungsmarktes die Mietpreisbremse gilt, die Kappungsgrenzenverordnung eingreift und ein qualifizierter Mietspiegel Transparenz schafft, gibt es diesen Schutz eine Straße weiter auf der anderen Seite der Landesgrenze in Norderstedt nicht mehr. Dem Hamburger Mietspiegel 2021 kann man entnehmen, dass eine ca. 75 m² große Wohnung, Baujahr 1972, in durchschnittlicher Lage und Ausstattung, 6,38 € pro Quadratmeter kostet (Rasterfeld K3). Eine vergleichbare Wohnung in Norderstedt kostet nach dem Mietspiegel 2021 (nicht qualifiziert) deutlich mehr, nämlich 7,68 €. Ähnliche Verhältnisse dürften im gesamten hamburgischen Umland anzutreffen sein – namentlich auch in Wedel, wo es nicht einmal einen Mietspiegel gibt. Der Anstieg bei den Angebotsmieten spiegelt sich auch im Wohnungsmarktprofil 2021 der Investitionsbank Schleswig-Holstein wider. Die Marktmieten folgen den dort erhobenen Angebotsmieten in der Regel mit leichter zeitlicher Verzögerung. Der Mietenanstieg spiegelt sich aber auch im Aktienkurs von Vonovia wider. Seit 2017 ist der Kurs nach Unternehmensangaben von knapp 30,00 € über 57,00 € auf zuletzt rund 43,00 € angestiegen. Auch die Dividende des Unternehmens ist seit dem Jahr für Jahr angestiegen.
Links:
Bericht des Mieterbunds mit weiteren Beispielen:
https://www.mieterbund-schleswig-holstein.de
Mieterhöhungen in Glinde:
https://www.martinhabersaat.de/2020/08/10/politik-der-landesregierung-fuehrt-zu-mieterhoehungen/
Veranstaltung mit dem Mieterbund in Barsbüttel:
https://www.martinhabersaat.de/2020/08/31/schlechte-zeiten-fuer-mieterinnen-und-mieter/
SPD-Zukunftsprogramm